Die richtigen Fragen stellen: Interview mit Ursula Wienken
Ursula Wienken gewährt spannende Einblicke in ihre Arbeit als Beraterin, Auditorin und QMB: Mit welchen Fragen sie Menschen erreicht oder zum Umdenken anregt, was sie QMBs in puncto Mitarbeiterakzeptanz rät und wie sie sich auf dem Laufenden hält, lesen Sie hier. Mit Tool-Tipps!
Über Ursula Wienken
„Qualitätsmanagement mit Sinn und Verstand“: Hinter diesem Leitspruch steht Ursula Wienken – QMB, Auditorin, Beraterin, Coach, Ausbilderin, Blog- und Podcast-Host sowie Geschäftsführerin der MQ Gesellschaft für MehrQualität mbH.
Schwerpunktmäßig ist sie in den Branchen Bildung, Beratung, Medien, Kultur und soziale Dienstleistungen unterwegs. Ursula Wienken bringt langjährige Erfahrung aus dem Journalismus und der Erwachsenenbildung mit. Sie beschäftigt sich zudem intensiv mit KI und den Möglichkeiten, die diese fürs QM bietet.
orgavision: Hallo, Frau Wienken! Schön, dass Sie sich die Zeit für mich nehmen. Wir haben’s ja 13.30 Uhr – eigentlich Zeit für das klassische Mittagstief. Wie ist denn das, wenn Sie in eine Gruppe kommen, als Beraterin, als Coach – und keiner ist so richtig wach: Wie starten Sie dann? Haben Sie einen Icebreaker?
Ursula Wienken: Klassische Eisbrecher sind manchmal genau das Richtige – aber manchmal braucht es auch etwas anderes. (Lacht.) Ich arbeite gern mit einem einfachen, aber effektiven Check-in: Wo steht ihr gerade mit eurem Energielevel? Spannend wird es, wenn man das mit dem Interesse am Thema kombiniert. Da kommen oft überraschende Konstellationen raus. Manchmal brennen die Leute fürs Thema, sind aber energetisch durch, oder sie sind topfit, können mit dem Thema aber noch nicht viel anfangen.
Dann fragen wir gemeinsam: Was brauchst du jetzt, damit es für dich gut läuft? Das öffnet meistens schon die erste gute Gesprächsrunde, und wir sind mittendrin im Thema.
Also Sie gehen auf den Menschen ein, das Individuum. Können Sie da bestimmte Typologien feststellen? Wem begegnen Sie immer wieder in Ihren Branchen?
Ich bin vorsichtig mit solchen Typologisierungen. Jede Organisation hat ihre eigene Dynamik. In sozialen Einrichtungen beispielsweise beobachte ich häufig eine starke Fokussierung auf die Klienten, während organisationale Prozesse manchmal zurückstehen. Und ja, ich begegne Menschen, die befürchten, dass Standardisierung ihre fachliche Autonomie einschränken könnte. Aber jede Situation und jede Person ist individuell und verdient einen offenen, unvoreingenommenen Blick. Also – in den Trainings- oder Beratungsrunden ist eigentlich immer die ganze Bandbreite vertreten.
… und Sie müssen alle einsammeln und abholen. Haben Sie Methoden? So hole ich den „Rebellen“ ab, so knacke ich einen „Stillen“, so dämme ich das „Großmaul“ ein …
Da sind sie wieder, die Typisierungen. Ich glaube nicht, dass es „das Großmaul“ gibt oder „die Stille“. Jede Gruppe entwickelt ihre eigene Dynamik, und das Verhalten von Menschen ist sehr situationsabhängig. Ein Beispiel: Wenn ich selbst in einer Gruppe arbeite, in der auch meine Vorgesetzten dabei sind, verhalte ich mich vielleicht etwas zurückhaltender als sonst. Wenn mich ein Thema besonders interessiert oder ich mich gut damit auskenne, bringe ich mich aktiver ein.
Statt Menschen in Schubladen zu stecken, finde ich es wichtiger zu verstehen: Was braucht die Gruppe gerade? Was braucht der einzelne Mensch in dieser spezifischen Situation? Ich schaue mir unvoreingenommen alle Personen an – und wenn ich mir nicht sicher bin, ob ich die Bedarfe richtig einschätze, dann frage ich nach.
Da sitzen also auch „nur“ Menschen mit individuellen Bedürfnissen. Ich hatte ja eingangs das Mittagstief genannt. Stichwort Befindlichkeiten, körperliche oder psychische, Biorhythmus, hormonelle Schwankungen, ADHS: Erleben Sie da in letzter Zeit eine Veränderung, dass man mit solchen Themen offener ist, dass diese Dinge mehr benannt werden dürfen – vielleicht sogar „schick“ sind in manchen Branchen?
Schick trifft es nicht, finde ich. Was aber erkennbar ist, dass Organisationen die Notwendigkeit erkennen, sich mit Themen wie Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz auseinandersetzen. Aus ganz praktischen Gründen. Wenn Menschen ihre Arbeit gut machen sollen, müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Und das bedeutet auch, dass klar ist: Alle Menschen haben unterschiedliche Leistungskurven und Bedürfnisse. Kluge Organisationen, die in der Lage sind, das zu berücksichtigen, profitieren gleich mehrfach. Die Mitarbeitenden sind zufriedener und leistungswilliger, und damit werden auch die Ergebnisse und die Qualität besser.
Und nimmt dieses Verhalten zu? Gibt es immer mehr kluge Organisationen?
Da beobachte ich sehr unterschiedliche Entwicklungen. In Startups beispielsweise ist ein bewusster Umgang mit individuellen Arbeitsbedingungen oft schon selbstverständlich. Das liegt auch daran, dass sich viele dieser Unternehmen bewusst gegründet haben, um neue Arbeitsformen zu leben. Sie gestalten ihre Arbeitsbedingungen von Anfang an flexibler und individueller.
In etablierten Organisationen, etwa bei sozialen Trägern, sieht das oft noch anders aus. Da gibt es zwar eine ausgeprägte Fürsorgekultur für die Klienten, aber die Arbeitsbedingungen der eigenen Mitarbeitenden stehen weniger im Fokus. Wenn es um Themen wie die Anpassung der Arbeit an den persönlichen Biorhythmus geht – da ist noch Luft nach oben.
Da ist die DGQ ja schon weiter, die das Thema „Wie Zyklusphasen den QM-Alltag bestimmen“ mit den „Frauen im QM“ beleuchtet hat (Referentin: Franziska Rehpenning). Nehmen Sie sonst grundsätzlich eine Veränderung wahr, auch da wir jetzt die Gen Z am Arbeitsmarkt haben? Ist das alles noch so bürokratisch, patriarchalisch, so 1980 – oder erkennen Sie einen Trend in der Unternehmenskultur? In Ihren Schwerpunktbranchen?
Das muss man sich wahrscheinlich genauer angucken. Nehmen wir mal die Sozialwirtschaft als Beispiel: Ich arbeite viel mit Werkstätten für Menschen mit Behinderungen. Da treffe ich oft auf Menschen in der Leitung, die ihre Einrichtungen über Jahre oder Jahrzehnte mit viel Herzblut aufgebaut haben. Klar, formal könnte man das als patriarchalische Struktur bezeichnen – eine prägende Persönlichkeit hat ein Werk geschaffen und Menschen um sich versammelt. Aber es hat ja auch was sehr schön Familiäres mit vielen Vorteilen.
Die sozialen Organisationen haben sehr viele Herausforderungen, die sich mehr in den Vordergrund drängen: Die Ressourcen sind knapp, die Dokumentationsanforderungen steigen ständig. Da geht es um die Frage: Wie schaffen wir es, unseren Auftrag zu erfüllen und dabei alle Anforderungen einzuhalten? Da bleibt für neue Ansätze in der Arbeitsgestaltung oft wenig Raum, auch wenn der Wunsch vielleicht da wäre.
Was ich aber interessant finde: Die Gen Z würde im sozialen Bereich eigentlich viele ihrer Werte wiederfinden: sinnstiftende Arbeit, flache Hierarchien, Teamorientierung. Nur eben in einem anderen Outfit, als man es von hippen Start-ups kennt.
Stichwort Sozialwirtschaft: Wir haben ein neues Umfrage-Format entwickelt, die Brennenden QM-Fragen, und die Teilnehmer/-innen können auch eigene Fragen einsenden. Eine stammt aus der Branche: „Wie kann die Wichtigkeit des QM zu Zeiten des Personal- und Fachkräftemangels angebracht werden, sodass es aus Überzeugung gelebt werden kann in einer Sozialinstitution?“
(Lacht.) Eine große Frage – dahinter steckt ja die Annahme, dass QM zusätzliche Arbeit macht, die man den Mitarbeitenden irgendwie schmackhaft machen muss. Verstehe ich das richtig?
Ja. Aber die Frage geht in die Richtung, wie die das dann gerne machen.
Warum sollte jemand eine als „zusätzlich zur ‚normalen‘ Tätigkeit“ gebrandete Arbeit gerne machen?
Weil ich einen Sinn dahinter sehe? Weil es Freude bringt oder Erleichterung?
Genau da liegt der Knackpunkt. Wenn ein QMB fragt „Wie kriege ich die Leute dazu, QM umzusetzen, obwohl keine Zeit da ist und es eine zusätzliche Tätigkeit ist?“, dann stimmt in der Grundhaltung etwas nicht.
Interessanter Ansatz.
Als QMB brauche ich zuallererst selbst eine klare Vision: Warum ist QM nicht eine zusätzliche Aufgabe, sondern ein integraler Teil unserer Arbeit? Was bringt es der Organisation? Diese Haltung muss authentisch sein. Wenn ich QMBs danach frage, erlebe ich oft zwei Extreme: Entweder kommt gar nichts – oder sie sprudeln vor Ideen, wie QM die Organisation voranbringen kann.
Aber selbst mit einer klaren Vision passiert oft etwas Interessantes: In der täglichen Kommunikation schleichen sich Formulierungen ein, die genau das Gegenteil vermitteln. Wenn ich sage „Das brauchen wir fürs Audit“ oder „Bitte noch schnell die QM-Dokumente aktualisieren“, suggeriere ich unbewusst: QM ist etwas Zusätzliches, das wir nur für externe Prüfungen nutzen, oder um ein sehr abstraktes „QM-System“ zu bedienen. Diese subtilen Botschaften prägen die Wahrnehmung in der Organisation meist ohne, dass wir es selbst merken.
QMBs frage ich dann schon mal: Du QMB, wofür stehst du jeden Morgen auf? Dieser Spirit muss an die Mitarbeitenden gelangen.
Also konkret empfehlen Sie?
Der erste Schritt ist die eigene Haltung zu QM: Wie spreche ich darüber? Bin ich Vorbild? Habe ich eine überzeugende Vision? Kann ich zeigen, was QM unserer Organisation bringt? Wenn ich das für mich geklärt habe, kann ich authentisch darüber sprechen und andere mitreißen.
Eine weitere Frage betrifft externe Forderungen: „Welche Ansprüche an die Qualität von Dienstleistungen müssen oder können (von Prüfbehörden, vom Gesetzgeber) gesenkt werden, wenn der Fachkräftemangel die Handlungsmöglichkeiten von Unternehmen immer weiter einschränkt?“
Tja, externe Anforderungen, da kann man wenig machen. Die nehmen tatsächlich zu.
Wenn Sie jetzt einen Wunsch freihätten, die gute Fee sagt: Sie dürfen einmal durch die externen Anforderungen wischen, eine Sache wegzaubern … Hätten Sie da was im Blick?
Nee, es hat ja alles seinen Sinn. Aber: Ich kann versuchen, es schlank und geschickt umzusetzen, wenn ich verstehe, was eine Anforderung eigentlich sicherstellen will. Nur dann habe ich Gestaltungsspielraum.
Datenschutz ist ein gutes Beispiel. Da wird noch viel zu oft überinterpretiert im Sinne von vorauseilendem Gehorsam. In vielen Organisationen beobachte ich eine sehr defensive Auslegung der Anforderungen. Das führt dann häufig zu unnötig komplexen Prozessen.
Statt eines kategorischen „Das geht nicht“ wäre ein lösungsorientierter Ansatz hilfreich. Stellen Sie sich einen Datenschutzbeauftragten vor, der sagt: „Ich habe das geprüft, Folgendes müssen wir beachten, und wir könnten das so und so machen – und zwar datenschutzkonform.“ Das wäre toll.
Auf Ihrem Blog haben Sie dazu auch etwas geschrieben: „Wie man es schlank aufbaut“ oder „Entrümpeln Sie Ihr QM“. Jetzt haben Sie ganz neu auch einen Podcast. Sie probieren viel aus, auch mit KI, neulich hatten Sie ein QM-Spiel mit ChatGPT konzipiert … Waren Sie schon immer so neugierig auf Technik?
Ja, hat damit zu tun, dass ich aus einem techniklastigen Umfeld komme: Ich hab ja mal Hörfunk gemacht. Ich fing an, als dort alles digitalisiert wurde. So hab ich schon immer mit Technik, vor allem Schnitt- und Audiotechnik, zu tun gehabt. Ich war dabei, als von Tickern auf Computer umgestellt wurde, hab mir selbst HTML beigebracht, hätte gern Programmieren gelernt. Ich finde: Es lohnt sich, sich jetzt mit Digitalisierung zu beschäftigen. Das kann so viele Ressourcen freisetzen, wenn man es vernünftig macht. Ich verstehe es, wenn Leute erst mal verhalten positiv sind, das Thema hat am Anfang durchaus eine Lernkurve. Aber der positive Effekt tritt sehr früh ein.
Als QMB ist man ja Schnittstelle, hat vielfältige Aufgaben. Wie halten Sie selbst sich auf dem Laufenden zu QM? Wo beschaffen Sie sich Informationen und Neuerungen?
Ich nutze verschiedene Quellen, um up to date zu bleiben: Ich investiere in Webinare, etwa bei LinkedIn Learning, habe rund 30 Newsletter abonniert und lese regelmäßig Fachzeitschriften. Wichtig sind auch Verbände: Die DGQ beispielsweise bietet ihren Mitgliedern hervorragende kostenfreie Veranstaltungen an. An denen nehme ich mindestens einmal im Monat teil.
Aber die zentrale Frage ist weniger, wo man Informationen findet, sondern wie man die Zeit dafür organisiert. Einige kluge Unternehmen stellen ihren Mitarbeitenden definierte Zeitkontingente fürs Lernen und Lesen zur Verfügung. Das ist der richtige Weg, denn ganz ehrlich: Es kann nicht mein Privatvergnügen sein, mich auf dem Laufenden zu halten, wenn ich als QMB angestellt bin.
Trotzdem ist das noch die Ausnahme. Die meisten QMBs erledigen das und noch vieles mehr „nebenbei“, lesen Fachartikel auf dem Weg zur Arbeit, hören Podcasts in der Freizeit oder schauen sich am Wochenende Webinare an. Das kann so nicht bleiben, finde ich.
Das machen viele so, job- und branchenübergreifend. Ein guter Impuls. Aber offiziell Zeit dafür freischaufeln … wird das nicht immer schwieriger, bei all dem Fachkräftemangel?
Genau deshalb setze ich gezielt KI-Tools ein – die können Routineaufgaben automatisieren und schaffen Zeit für Wichtigeres. Ein Beispiel: Ich habe mir einen Chatbot gebaut, der die Entwicklung rund um die ISO-Revision systematisch im Blick behält. Ich habe den Bot mit den relevanten Fachquellen gefüttert. Einmal monatlich „läuft“ er los und analysiert diese Quellen nach meinen vorgegebenen Kriterien und erstellt mir dann eine fokussierte Zusammenfassung. Wenn mir das noch nicht ausreicht, frage ich nach. Das reduziert die Recherchezeit erheblich und erhöht gleichzeitig die Qualität bei der Informationsgewinnung.
Frischen Sie Ihr Wissen auf oder eignen Sie sich die Grundlagen an: Im Blogartikel KI im QM: Tipps und Tools für die Arbeitsentlastung finden Sie praxisnahe Antworten auf Ihre Fragen.
Cool, Sie haben das wie eine Vorlage in ChatGPT4 angelegt, die Sie immer wieder neu selbst starten?
Ja genau. Die relevanten Quellen – also bestimmte URLs, Blogs und Newsletter – hatte ich schon als kuratierte Liste. Früher habe ich die einmal im Monat alle manuell durchgesehen, das hat ungefähr zwei Stunden gedauert: alle Artikel lesen und die wichtigen Punkte notieren.
Jetzt habe ich in ChatGPT einen Custom Bot erstellt, dem ich meine Qualitätskriterien und Interessensgebiete „beigebracht“ habe. Der Bot durchsucht die Quellen und erstellt eine strukturierte Zusammenfassung: „Hier sind die wichtigsten Entwicklungen, das könnte ein interessantes Seminarthema sein, dort gibt es neue Erkenntnisse zu einem bestimmten Bereich.“ Das reduziert die Zeit auf etwa 30 Minuten – und das finde ich schon riesig.
Dann passt ja die nächste Zuschauerfrage perfekt: Eignet sich die Stelle des QMB als eine Teilzeitstelle?
Ja! Ich finde eh, dass ein funktionierendes QMS nicht von einer Person abhängen darf. Aufgabe des QMB sollte nicht sein, alles für die anderen zu machen, sondern Prozesse zu steuern und zu organisieren. Daher grundsätzlich: Ja, das geht in Teilzeit. Wenn es aber in der Organisation so aufgebaut und gewünscht ist, dass ich als QMB alle Prozesse selbst schreibe, alle Dokumente selbst anlege und prüfe, jede Kennzahl überwache, alle Audits selbst durchführe … dann nicht. Dann reicht aber auch keine Vollzeitstelle – und ob das sinnvoll ist, sei auch mal dahingestellt. QM ist ja eigentlich eine Gemeinschaftsaufgabe.
Was für Tools außer KI schlagen Sie noch vor? Fürs QM, auch in einem kleinen Unternehmen. Was macht es mir leichter, was legen Sie mir ans Herz – auch mit wenig Budget? Was sollte ich mir holen?
Ich würde 3 zentrale digitale Werkzeuge empfehlen:
Erstens ein Ticketsystem für das Verbesserungsmanagement. Das lässt sich auch mit vorhandenen Tools wie Microsoft Teams oder sogar Outlook umsetzen. Ich mag Excel, aber für Verbesserungsmaßnahmen ist das in der Regel zu statisch, zu pflegeintensiv und zu fehleranfällig. Da fällt das systematische Nachhalten schwer – insbesondere im Team.
Zweitens eine Kollaborationsplattform für den Ideenaustausch. Da sollte auf jeden Fall ein digitales Whiteboard drin sein, ein Meeting-Tool, ein Tool für den schnellen unkomplizierten Austausch – auf jeden Fall weg von E-Mails für die schnelle Kommunikation.
Und drittens eine spezialisierte QM-Systemware. Und die sollte mehr tun als nur Dokumente managen. Das schafft dann im Idealfall Freiräume für wertschöpfende Arbeiten.
orgavision lenkt nicht nur Fußzeilen und Dokumente wie eine Eins: Menschen schätzen auch die klare Oberfläche und die leistungsstarke Suche, die wirklich alles findet.
Das höre ich gerne. Es gibt Stimmen, die sagen, erst ab einer bestimmten Unternehmensgröße sei eine QM-Software sinnvoll?
(Lacht.) Nein! Jede Fußzeile, die ich von Hand lenken muss, ist eine zu viel. Egal, ob ich eine Person bin – oder 35. Ich will das nicht! (Immer noch lachend.) Verstehen Sie – ich suche nach den sinnstiftenden Tätigkeiten im QM. Und Fußzeilen und Versionsnummern pflegen ... da bin ich raus! Klar, Versionierung und Dokumentenlenkung sind wichtig. Aber dafür gibt’s doch heute Lösungen. Das soll die Software für mich machen! Dafür ist mir meine Zeit zu wertvoll.
Stichwort sinnstiftend … Wir waren im Vorgespräch bei der These gelandet, QM sei auch Freude – an der Klarheit, an der Ordnung. Jetzt haben Sie eine Minute Sendezeit in der Tagesschau, was wäre Ihre Message an alle? An die Menschheit, an die Arbeitswelt?
(Lacht.) Ist die Menschheit an QM-Systemen interessiert? Weiß ich gar nicht … Aber sie ist an guten Arbeitsbedingungen und -ergebnissen interessiert. Sie wollen wissen, was von ihnen erwartet wird, wann sie ihre Arbeit gut gemacht haben, an wen sie sich wenden können. Und ein gut gemachtes QM schafft genau diesen klaren Rahmen.
Meine Erfahrung ist: Menschen reiben sich in Organisationen oft auf an Dingen, die man eigentlich nur einmal klären und festlegen müsste. Wenn ich Standardprozesse so gestalte, dass sie einfach funktionieren, ohne dass jeder jedes Mal neu darüber nachdenken muss, dann wird etwas Wertvolles frei: Zeit und Energie für die spannenden Dinge, für Innovationen, für all das, was sich nicht standardisieren lässt und auch nicht standardisiert werden soll.
Standardprozesse … Hält die jeder ein? Wie gehen Sie da gegen den Schlendrian vor, was empfehlen Sie? Was kann denn der einzelne Mitarbeiter tun, also Mindset-mäßig?
Was meinen Sie mit Schlendrian – dass sich Leute nicht an Vereinbarungen oder Prozesse halten?
Ja. Ich selbst überlege mir ja Großartiges, um Dinge zu dokumentieren. Weil ich immer höre, das muss man haben, richte ich einen Redaktionsplan für Social Media ein und bleibe etwa 2–3 Wochen dran – solange die Begeisterung über das Neue mich trägt. Dann rückt der Plan nach hinten, etwas anderes ist dringender, und dann vergesse ich es irgendwann. Wie bleibt man dran an Ordnung und Struktur?
Das ist eine sehr wichtige Beobachtung und ja auch ganz typisch. Was mir dazu einfällt: Es geht ja nicht darum, Strukturen um der Struktur willen zu schaffen. Entscheidend ist, dass sie in den tatsächlichen Arbeitsablauf integriert sind. Das Schwierige an vielen Prozessbeschreibungen ist ja: Ich arbeite an meiner eigentlichen Aufgabe und muss dann noch aktiv die Prozessbeschreibung dazuholen und beides zusammenbringen.
Erfolgreicher sind Ansätze, bei denen die Struktur direkt im Arbeitsbereich liegt – zum Beispiel, wenn mich eine Software durch den Prozess führt. Und dann muss man natürlich immer die Aufwand-Nutzen-Relation im Blick behalten: Ein Redaktionsplan, der mich viel Zeit kostet und am Ende nur bedingt Nutzen bringt, tut nichts für mich. Er ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt.
Und wenn jemand argumentiert, wir müssen doch im Nachgang überblicken, was wir alles veröffentlicht haben?
Müssen wir das? Das ist nämlich auch immer ’ne gute Frage. Wenn jemand sagt, wir müssen etwas – dann frage ich immer: für wen und wozu.
In diesem Fall, falls irgendjemand irgendwann mal fragt, haben wir uns schon mal zum Thema xy geäußert? Aber das wäre vorauseilender Gehorsam …
Genau. Da würde ich ganz pragmatisch rangehen: Wie häufig tritt dieser Fall tatsächlich ein? Und selbst dann könnte man die Kanäle gezielt durchsuchen. Ein Plan sollte ja zukunftsgerichtet sein. Was Sie beschreiben, ist eher Dokumentation oder Controlling. Diese Vermischung verschiedener Zwecke passiert ganz oft und macht so viele Prozesse unnötig kompliziert.
Ist das typisch deutsch, vorauseilender Gehorsam?
Gute Frage. Ich habe mir gerade gestern neue Rubriken für meinen Newsletter überlegt, und eine heißt: QM im kulturellen Kontext. Wird QM woanders anders gelebt als in Deutschland? Hier herrscht ja oft eine ordnende, restriktive, vorgebende Art von QM. In anderen Ländern ist QM ist es vielleicht flexibler, strategischer, mit anderer Methodik.
Das hörte sich jetzt nach den USA oder nach dem angelsächsischen Raum an. Haben Sie weitere Beispiele? Etwa so ein „sanguinisches“ südeuropäisches Land, wie macht das denn QM?
(Lacht.) Oh, da fragen Sie mich zu viel! Das ist tatsächlich ein Thema, bei dem ich gerade erst anfange zu recherchieren. Was ich aber schon weiß: Deutschland liegt weltweit auf Platz 3 bei der Anzahl der ISO-9001-Zertifikate – nach China und Italien! Was das genau bedeutet und warum das so ist, da kann ich nur spekulieren. Vielleicht liegt es an unserer Vorliebe für klare Vorgaben und an der Tendenz, die dann auch sehr gründlich umzusetzen.
Was ich aus meiner Erfahrung aber auch sagen kann: Diese Gründlichkeit ist nicht immer zielführend. Wenn es nicht gerade eine Hochrisiko-Branche ist, wo es um Menschenleben oder große wirtschaftliche Schäden geht, muss man vielleicht nicht jeden kleinen Prozess bis ins letzte Detail regeln.
Hat das was mit Fehlerkultur zu tun?
Absolut! Es geht um die grundsätzliche Frage: Wie gehen wir mit Abweichungen um? Bin ich bereit, etwas auszuprobieren, oder bin ich so fixiert auf die Einhaltung von Vorgaben, dass kein Raum mehr für Kreativität und Innovation bleibt?
Da hat mir ein Kollege, der Organisationstheorie forscht und lehrt, ein gutes Bild mitgegeben. Er spricht von „funktionalen Fehlern“. Das sind Abweichungen vom Prozess, die eigentlich was ganz Wichtiges zeigen: nämlich Verbesserungspotenziale. Im klassischen QM würden wir das als Fehler einstufen – wenn Menschen etwas anders machen, als es vorgesehen ist. Aber sein Punkt ist: Wir müssen aufpassen, dass wir durch zu viel Reglementierung nicht genau die Abweichungen verhindern, die uns weiterbringen könnten. Funktionale Abweichungen sind wichtig, die dürfen wir nicht eliminieren.
Das können wir uns mal merken, in Deutschland. Und warum sind China und Italien auf Platz 1 und 2, Ihrer Meinung nach?
(Überlegt.) Bei China spielt sicher die Größe des Wirtschaftsraums eine Rolle. Bei Italien? Das ist eine spannende Frage, auf die ich, ehrlich gesagt, keine Antwort habe – nur Vermutungen: die starke Präsenz der Automobilindustrie, eine ausgeprägte Qualitätstradition … ich kann nur spekulieren. Spannende Frage.
Mal eben schnell die KI gefragt: Woran kann das liegen? Hier einige Gründe: die industrielle Struktur, Exportorientierung, kulturelle Aspekte, ein traditionell hoher Qualitätsanspruch, die starke handwerkliche Tradition …
Ja – klingt sinnvoll. Vielleicht starte ich dazu mal eine Diskussion in der QM-Community. Vielleicht hat jemand eine gesicherte Antwort. (Anmerkung: Schon umgesetzt.)
Ich bin gespannt auf Ihren Post und die Antworten! Herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Gespräch genommen haben!