Das klingt etwas desillusionierend … aber ihr habt ja schließlich eine gute Lösung gefunden.
Ja. Irgendwann kam ich an den Punkt, zu sagen: Wir lassen jetzt mal das Unternehmen weg – am Ende geht es um die Menschen, um unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Also sollten diese auch frei entscheiden können. Ob reines Büromodell, Homeoffice oder Hybridlösung: Bei jeder denkbaren Variante gab es etwas zu verlieren. Und dann haben wir uns gesagt: Wenn wir eh was verlieren, dann lasst uns doch möglichst viel dabei gewinnen. Auch das flexible Arbeitsmodell hat ein paar Schattenseiten – aber dann kümmern wir uns so gut um diese, dass wir schlussendlich gemeinsam einen Schritt nach vorne machen. Dann wagen wir das Experiment! Und seitdem können alle völlig frei entscheiden, jeden Tag aufs Neue, wo sie arbeiten möchten.
Welche sind denn die Schattenseiten beim flexiblen Modell, die du angesprochen hast?
Für viele ist es eine Herausforderung, dass die Gemeinschaft wegbricht, dass die Kollegen weg sind. Man geht ins Büro, aber das Büro ist vergleichsweise leer. Nicht jeder ist der Typ, der es allein schafft. Nicht für jeden ist es gut, für sich daheim zu arbeiten, sich selbst strukturieren und motivieren zu müssen. Und nicht bei jedem sind die räumlichen und sozialen Gegebenheiten so, dass „gutes“ Arbeiten auf Dauer möglich ist.
Man weiß gar nicht, wer hier welchen Schaden genommen hat … Ich sehe das auch so beim Beispiel Schule: Setting und Gemeinschaft sind wichtiger als der Unterricht an sich.
Und was ist mit den Schattenseiten für das Unternehmen? Unter welchen Umständen würde Remote Work für dich als Geschäftsführer nicht funktionieren?
Die größte Herausforderung ist, dass wir nicht mehr sehen können, dass bzw. wie gearbeitet wird. Wir spüren den „Puls des Unternehmens“ nur noch während der Remote-Termine im direkten Austausch. Da die Aufgaben sozusagen „im Verborgenen“ erledigt werden, gibt es auch weniger Möglichkeiten für unmittelbares Feedback, für Verbesserungsvorschläge aufgrund von Beobachtungen, für gegenseitige Inspirationen oder dafür, voneinander zu lernen. Und Remote Work ist sicher auch ein Test für Vertrauen: Beim flexiblen Arbeiten muss ich als Chef den Angestellten noch mehr zutrauen, dass sie eigene gute Entscheidungen treffen und dabei im Einzelfall auch die eigenen Interessen hintenanstellen: Jeder kann sich ja jeden Tag neu frei entscheiden – aber eben nur, sofern es für die Kunden und das Team passt. Wenn es notwendig ist, muss man ins Büro kommen, etwa weil ein Kundenbesuch ansteht. Es ist also sicherzustellen, dass das Ganze weiterhin einwandfrei funktioniert. Remote ist folglich nicht möglich, wenn man seine Freiheit zu 100 % ausreizt. Dazu braucht es ein gut funktionierendes, klares Regelwerk.
Stichwort Regelwerk: Wie habt ihr das gelöst?
Die orgavision Software selbst dient uns ja als unser Wissensmanagementsystem. Wir haben unsere Regeln im internen Handbuch genau definiert, nach dem Motto: So viele wie nötig, aber so wenig wie möglich. Sie sind für alle einsehbar und stets aktuell.
Zum Beispiel definieren wird dort die Anforderungen an einen mobilen Arbeitsplatz (Stichworte: störungsfreie Arbeitsumgebung, Sicherheit unserer Daten), aber auch an Meetings: So ist die Kamera in der Regel immer an. Und sofern nicht alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Büro anwesend sind, nutzen alle ihren eigenen Laptop mit Headset, um die bestmögliche Verständigung für alle sicherzustellen – und damit sich niemand ausgeschlossen fühlt.
Und wie entwickelt sich das Ganze derzeit weiter, was ist dein Eindruck?
Wie ich schon sagte: Mir fehlen die Menschen. Sie nicht zu haben, ist ein Verlust für mich. Ohne die Verbundenheit bleibt so viel Persönliches auf der Strecke. Ich frage mich nun aber auch: Brauchen das überhaupt alle? Es gibt Kolleginnen und Kollegen, die wollen das gar nicht so eng … Wir stellen z. B. Leute ein, die ausschließlich remote arbeiten, die ins Büro kommen könnten, aber nicht wollen. Also hat sich unsere Unternehmenskultur schon verändert.
Meine These ist, dass die einzelnen Teams wichtiger geworden sind, da man von zu Hause aus das Gesamtunternehmen weniger wahrnimmt. Also steuern wir von Firmenseite aus dagegen: durch regelmäßige Formate wie den Unternehmensreview mit der gesamten Belegschaft, durch sorgfältiges Onboarding oder Teamevents wie unser jährliches Offsite, bei dem wir alle drei Tage am Stück miteinander verbringen.