Agiles Qualitätsmanagement – einfach erklärt

Die Welt ist schneller und komplexer geworden, das Tempo bei Veränderungen zieht an. Begriffe wie Agilität, VUCA-World, jetzt sogar: BANI-Welt tauchen auf. Dazu scheint das Qualitätsmanagement mit seinem behäbigen, verstaubten Image nicht ganz zu passen … Aber halt – auch dieses kann agil gedacht werden. Befragen wir Benedikt Sommerhoff (DGQ) im Experten-Interview!

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Übersicht

Was ist agiles Qualitätsmanagement, einfach erklärt? 

Definieren wir zunächst, was Qualitätsmanagement bedeutet: Der Begriff beschreibt die Gesamtheit aller Maßnahmen, die darauf abzielen, dass ein Unternehmen die Qualität seiner Produkte oder Dienstleistungen verlässlich auf dem gleichen (hohen) Niveau anbietet. Das Ziel: Kundenzufriedenheit.

Eine Norm, die die allgemeinen Anforderungen ans Qualitätsmanagement konkreter beschreibt, ist die ISO 9001. Sie basiert auf einem theoretischen Unterbau, den unser Blogartikel Die 7 Grundsätze des Qualitätsmanagements nach DIN EN ISO 9000 vorstellt. 

Agiles QM bedeutet nun, agile Prinzipien im Bereich des Qualitätsmanagements anzuwenden. Die Basis dafür bilden agile Methoden, die in den 1990er Jahren in der Softwareentwicklung entstanden sind.

Was ist Agilität und agiles Arbeiten?

Agil bedeutet: wendig, schnell, flexibel. Der Begriff stammt wie gesagt aus der Softwareentwicklung, hat sich jedoch auf verschiedene Branchen und Geschäftsbereiche ausgeweitet.

Eine Gruppe von Entwicklern hatte 2001 die Grundsätze agiler Softwareentwicklung als Manifest formuliert. Das berühmte „Manifest für agile Softwareentwicklung“ nennt als Prinzipien etwa die teamorientierte Zusammenarbeit, funktionierende Software, eine Beteiligung der Kunden sowie die Fähigkeit, auf Veränderungen zu reagieren.

Agiles Arbeiten funktioniert aber auch außerhalb der Softwarebranche. Dafür gilt es eine Arbeitsumgebung zu schaffen und Methoden anzuwenden, die es ermöglichen, sich rasch an Veränderungen anzupassen. 

Das „herkömmliche“ lineare Wasserfall-Modell definiert einen Zielzustand im Vorfeld und setzt einen Umsetzungsplan auf, den es schrittweise abzuarbeiten gilt. Auch wenn Feedbackgespräche den Prozess begleiten können, steht doch grundsätzlich am Anfang fest, was am Ende herauskommen soll.

Agiles Vorgehen hingegen setzt auf mehr Flexibilität. Wer weiß denn in dieser schnelllebigen Welt schon, was morgen geschieht? Oder welche Probleme und Anforderungen während des Projekts, während der Produktentwicklung noch auftreten? 

Das agile Arbeiten geschieht in kleinen definierten Schritten (Iteration) mit anschließendem Feedback, das direkt in die Definition des nächsten Schritts einfließt. Gegebenenfalls wird dabei auch der Zielzustand angepasst. Dieser Ansatz braucht viel Austausch und Kommunikation – mit allen Beteiligten, wobei vor allem die Wünsche der Kund:innen im Fokus stehen. Der große Vorteil: Wer rasch reagieren kann, bleibt handlungs- und damit wettbewerbsfähig.

Gibt es auch ein „Manifest für Agiles Qualitätsmanagement“?

Das gibt es. Benedikt Sommerhoff von der Deutschen Gesellschaft für Qualität (DGQ) und seine Kollegen haben es bereits 2016 entwickelt und veröffentlicht. Unter anderem interpretieren sie darin die 7 Grundsätze des Qualitätsmanagements neu: 

  • Schlagwort Kundenorientierung: Die klassische Kundenorientierung mit relativ wenigen Kontaktpunkten weicht der Kundeninteraktion, die auf kontinuierlichen Austausch setzt.
  • An die Stelle der klassischen tritt die dienende Führung, die ihre Aufgabe darin sieht, geeignete Rahmenbedingungen für die Mitarbeiter und das (agile) Arbeiten zu schaffen.
  • Die Einbeziehung von Personen – vielfach: Experten – macht dem Ansatz der interdisziplinären Vernetzung Platz: Einfach Menschen unabhängig von ihrer Funktion oder Stellung hinzuziehen. 
  • Den prozessorientierten Ansatz erweitert der evolutionären Ansatz: Er sucht die Balance zwischen klassischem und agilem Arbeiten und unterstützt den kontinuierlichen Wandel.
  • Verbesserung ist Ziel des klassischen Qualitätsmanagements. Iteration geht experimenteller vor: Scheitern ist erlaubt und hat auch Bedeutung für die Lösungsfindung.
  • Entscheidungsfindung anhand von Fakten – diese Forderung des klassischen QM wird im agilen QM durch die Knackpunktbasierte Lösungsfindung ersetzt: Es gilt, den eigentlichen Knackpunkt eines Problems in den Blick zu nehmen.
  • Statt auf das Beziehungsmanagement mit den einzelnen Interessengruppen einer Organisationen setzt das agile QM auf die Bedürfnisse aller, kurz: auf Menschenzentrierung.

Das finden Sie spannend? Mehr über das „Manifest für Agiles Qualitätsmanagement“ verrät Benedikt Sommerhoff in unserem aktuellen Interview.

Interview mit Benedikt Sommerhoff (DGQ)

Das Manifest für Agiles Qualitätsmanagement stammt aus dem Jahr 2016: Da stellt sich natürlich die Frage, wie es einst aufgenommen wurde und was sich in der Zwischenzeit in der Welt des Qualitätsmanagements getan hat.

Wie sahen die Reaktion und die Diskussion in der Fachwelt aus, was waren die größten Aufreger? (Spoiler: Es geht um Führung …) Benedikt Sommerhoff spricht über Ideen und Methoden wie Design Thinking, über digitale Transformation und das spannende Modell des dualen Betriebssystems.

Lesen Sie, was Agilität fürs Brötchenbacken bedeutet, für die Pflege und für Qualitätsmanager – und wie jeder einzelne Agilität wagen kann.

Hier geht es zum Interview.

Welche agilen Methoden lassen sich im Qualitätsmanagement nutzen?

Wie halten Organisationen mit den Herausforderungen einer sich schnell verändernden Geschäftsumgebung Schritt? Agiles Qualitätsmanagement kann sie unterstützen. Hier einige agile Praktiken, die sich auch im QM anwenden lassen – und die Unternehmen für die unbeständige, komplexe und teilweise chaotische Realität stärken:

  • Kundenorientierung: Durch kontinuierliches Feedback und die starke Einbeziehung der Kunden in den Entwicklungsprozess lassen sich Produkte und Dienstleistungen besser an die tatsächlichen Anforderungen anpassen.
  • Inkrementelle Entwicklung: Arbeit wird in kurzen, inkrementellen Zyklen durchgeführt, um schneller auf Veränderungen zu reagieren. Dies ermöglicht dem Unternehmen eine kontinuierliche Verbesserung und Anpassung an Kundenbedürfnisse.
  • Feedback: Kontinuierlich eingeholtes Feedback ist entscheidend, um schnell auf Änderungen reagieren zu können. Dies umfasst Feedback von Kunden, Teammitgliedern und anderen Stakeholdern.
  • Häufiges Testen: Durch kontinuierliches Testen werden potenzielle Probleme frühzeitig im Entwicklungsprozess identifiziert. So lassen sich Fehler schneller beheben. Das QM-Mantra „Plan-Do-Control-Act“ weicht einer raschen Abfolge von „Do-Control-Act“-Zyklen – hierzu mehr im Interview Agiles QM mit Benedikt Sommerhoff.
  • Kontinuierliche Verbesserung: Den kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) forderte bereits die ISO 9001 im Jahr 2015. Agilität fördert diese Kultur: Agile Teams reflektieren regelmäßig ihre Arbeit, identifizieren Verbesserungsmöglichkeiten und setzen Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz und Qualität um. Auch im Qualitätsmanagement lassen sich retrospektive Analysen und Anpassungen durchführen.
  • Bessere Zusammenarbeit: Agile Teams betonen eine enge Zusammenarbeit und offene Kommunikation zwischen Teammitgliedern, Kunden und anderen Stakeholdern. Dies fördert eine positive Teamdynamik. Durch den transparenten Austausch und die gemeinsame Verantwortung arbeiten agile Teams effektiver.
  • Selbstorganisierte Teams: Agile Teams organisieren sich selbst. Sie sind befugt, Entscheidungen auf der Ebene zu treffen, auf der das Wissen vorhanden ist (Subsidiaritätsprinzip). Dies fördert schnelle Reaktionen.

Auch weitere Methoden aus der Softwareentwicklung lassen sich für anderen Branchen nutzen. Das agile Framework Scrum etwa setzt auf kurze Entwicklungszyklen, sogenannte Sprints und klare Zuständigkeiten, also Rollen. Ein Kanban-Boardunterteilt den Arbeitsprozess in Phasen und stellt diese visuell als Spalten dar. So lassen sich Aufgaben besser organisieren.

Agiles Qualitätsmanagement, softwareunterstützt

Auch eine QM-Dokumentation lässt sich agil gestalten, z. B. mit Hilfe einer QM-Software. Ein digitales QM-Handbuch spart Ihre Zeit, weil Sie damit lästige Verwaltungsaufgaben elegant automatisieren.

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Warum brauchen wir agiles Qualitätsmanagement?

Leicht abgedroschen, aber deshalb nicht falsch: die These, dass nicht die stärkste Spezies überlebt, sondern diejenige, die sich am besten an Veränderungen anpasst. Das gilt auch für Organisationen. 
Den Begriff VUCA World oder VUKA Welt kennen die meisten: Er beschreibt eine komplexe, ambivalente Welt, in der es sich schwer planen lässt. Märkte und Bedürfnisse verändern sich mit hoher Geschwindigkeit: Auf diese Unsicherheit müssen Unternehmen sich einstellen und reagieren.

In Folge der Corona-Pandemie hat dieser Begriff sogar noch eine Steigerung erfahren: Der Begriff BANI-Welt (brittle – anxious – non-linear – incomprehensible; auf deutsch: brüchig, verunsichert, nicht-linear, unverständlich) mutet dabei schon fast dystopisch an. 
Ob VUCA oder BANI: Ein unstetes, unsicheres, komplexes und mehrdeutiges Setting ist heute vielfach Realität, im Geschäftlichen wie im Privaten. Mit agilen Methoden lässt sich dies auffangen: Die Welt können wir nicht ändern – es gilt, die Welle zu surfen. 

Eignet sich Agiles QM für jeden, für alle Seiten und Branchen?

Agilität und agiles Qualitätsmanagement sind nicht an bestimmte Branchen gebunden. Ob Produktentwicklung, Prozessgestaltung, Verkaufsoptimierung, Ressourcenplanung oder Kundenkommunikation: In jedem Bereich lassen sich agile Methoden nutzen – wenn man das Thema nicht als Dogma versteht, sondern als Taktik. Dinge einfach mal anders machen, neue Wege frühzeitig erkunden – das ist hier das Mindset, auf das es ankommt. 

Wichtig: Nicht jede:r verfügt über ausreichend Mut, Neugierde und Gelassenheit, falls er oder sie scheitert. Nicht jede:r kann und muss jetzt sofort agil werden – auch Eigenschaften wie Ordnung, Planung, Zuverlässigkeit und Sicherheit haben weiterhin ihre Berechtigung und stärken Teams und Organisationen.

„Nicht alle Menschen haben den gleichen Agilitätsgrad“, betont auch Benedikt Sommerhoff im Interview über Agiles QM

Ich möchte agil arbeiten. Wie fange ich an? 

Natürlich kommt es auf Ihr Umfeld an: Welche Probleme und Rahmenbedingungen gibt es in Ihrer Branche, wieviel Gestaltungsspielraum haben Sie als Person? Das agile Qualitätsmanagement bietet Ihnen verschiedene Ansatzpunkte – bei der Kundeninteraktion, im Führungskontext, in Prozessen oder bei der Problemlösung. 

„Ich glaube, der Kern der Agilität ist dieses Kleinschrittige, Iterative.“ Benedikt Sommerhoff empfiehlt in unserem Interview über Agiles QM, Dinge einfach früher auszuprobieren, mit Neugierde unbekannte Wege zu beschreiten. Diese gilt es allerdings auch gut zu kommunizieren, schließlich wollen Sie Ihre Kund:innen oder Kolleg:innen nicht irritieren, sondern mitnehmen. 

Wo Sie anfangen, agiler zu werden, bleibt Ihnen überlassen. Hier ein paar Tipps: 

  • Ändern Sie etwas – und sei es eine Kleinigkeit. Ordnen Sie etwa ganz banal die Symbolleiste auf Ihrem Desktop anders an. Das hält geistig beweglich und fördert die richtige Einstellung für Agilität.
  • In welchem Bereich in Ihrer Organisation gibt es immer wieder Probleme, wo wünschen Sie sich Verbesserungen? Knöpfen Sie sich diesen gezielt vor. Wenden Sie z. B. Kreativitätstechniken an, um hier neue Lösungen zu entdecken. 
  • Oder nehmen Sie sich einen der 7 Grundsätze des agilen QM vor und überlegen Sie, ob und wie genau Sie diesen bereits in Ihrem Umfeld umsetzen – oder ob da „noch mehr geht“. 

Agiles QM: 3 praktische Tipps zum Gleich-Loslegen 

Wir beleuchten agiles Qualitätsmanagement zum Schluss noch einmal ganz pragmatisch: Wie wird QM beweglicher, wie entwickelt es schneller weiter, im agilen Sinne? Hier drei praktische Tipps aus unserem QM-Erfahrungsschatz:

Öfter Feedback einholen

Das QM gibt bekanntermaßen Prozesse und Arbeitsanweisungen vor: Es dient als Regelwerk, nach dem Mitarbeiter:innen ihre Prozesse gestalten, um zu dem vorgesehen Ergebnis zu gelangen. Agil zu handeln bedeutet u. a., in kurzen Schleifen Feedback einzuholen, um sich permanent zu verbessern. Wie verständlich sind die Prozessdokumentationen, wie aktuell die Arbeitsanweisungen? Agiler werden bedeutet auch, diese Fragen einfach in kürzeren Zyklen als bisher zu stellen.

Systematisch Prozesse hinterfragen

Viele Dokumentationen und Prozessbeschreibungen sind relativ starr gedacht und auf lange Sicht angelegt, was natürlich von der jeweiligen Branche abhängt. Jedoch kann der QMB hier immer wieder die definierte Qualität auf den Prüfstand stellen: Bleibt alles stabil, oder ist eine Weiterentwicklung nötig? Die Anforderungen an die Dienstleistung oder das Produkt lassen sich systematisch in definierten Intervallen hinterfragen. Ein hilfreiches Tool dafür: die Wiedervorlage-Funktion im digitalen QM-Handbuch, bei der sich Bearbeitungszyklen und Fristen individuell hinterlegen lassen.

Kollaborativer arbeiten

Agiler werden bedeutet auch, dass ich in den Austausch gehe und andere am QM beteilige: Meine Dokumentation profitiert schließlich davon, wenn ich Wissen aus der Belegschaft sammle, einbinde und allen zur Verfügung stelle. Eine QM-Software bietet zahlreiche Funktionen für ein lebendiges „Mitmach-QM“, schafft Transparenz und lädt zur Partizipation ein.

Fazit

Wie Sie beim Lesen vielleicht schon bemerkt haben, kann Agiles Qualitätsmanagement richtig Spaß machen. Ob mit oder ohne QM-Software, es birgt eine Menge Chancen auf Verbesserung und geht einher mit einem grundsätzlich optimistischen Mindset: Dinge ausprobieren, keine Angst vor dem Scheitern haben, flexibel bleiben, Neues wagen. Das kann jeder auf seine Art, in seinem Rahmen. In diesem Sinne: Surfen Sie die Wellen, die da kommen!